Logistische Spitzenleistungen – Made in Langenneufnach

iLoNa – eine Berlinerin steht ihren Mann
Interview mit Franz Gail, Werksleiter der Topstar GmbH

In einem kleinen bayerischen Ort namens Langenneufnach liegt der Mittelpunkt der Arbeitswelt; zumindest für all jene, die gesund und bequem sitzen möchten sowie für zahlreiche Handels- und Versandunternehmen, die sich unweit von Augsburg mit rd. 2,5 Mio. Büro-, Konferenz- und Kinderzimmerstühlen im Jahr 2005 eindecken.

Die Kundenliste des fast 30 Jahre alten Familienunternehmens Topstar liest sich wie das Who-is-who des deutschen Einzelhandels. Hier finden sich die großen deutschen Möbelhäuser (z. B. Segmüller, Walther, Porta), Baumärkte (Praktiker, OBI), SB-Warenhäuser (Real, Marktkauf) und Versender (Quelle, Otto, Printus, Kaiser und Kraft). Aber auch große Objektkunden, wie das Bundesministerium für Verteidigung oder Daimler-Chrysler stehen auf der Wagner`schen Referenzliste.

Was heute eine Erfolgsgeschichte „Made in Germany“ ist, drohte zur Jahrtausendwende beinahe zu einem Fiasko zu werden, nachdem die expandierende Produktion von Drehstühlen den Versand förmlich „an die Wand drückte“, weiß Dr. Rainer Wagner zu berichten. Zu dieser Zeit – so der Enkel des Firmengründers – entschloss sich die Eigentümer-Familie – seit jeher technologischen Innovationen aufgeschlossen – die gut 25 Jahre alten Versand-Strukturen auf Zukunftskurs auszurichten.

Neben einem zweiten Hochregallager mit 25 Metern Höhe und einer Gesamtkapazität von nunmehr rd. 16.000 Paletten benötigten die Bayern eine leistungsfähige Lösung, um von ihrer bislang manuellen auf eine automatische (Zwischen-)Lagerung, Kommissionierung und Versandbearbeitung umzustellen. Für Werksleiter Franz Gail war dies die Chance, die organisatorischen Strukturen in „seinem Betrieb“ auf Vordermann zu bringen. Mit dem „Organisator“ der Firma Topstar sprach IT-Journalist Thomas Keup.

Herr Gail, was verbinden Sie mit dem Namen iLoNa – als Werksleiter und – wie Sie selbst sagen – „Cheforganisator“ ihres Unternehmens?

Als Mann im besten Alter würde ich sagen: Der Name klingt interessant, diese Dame möchte ich gern näher kennen lernen. Als Leiter von Produktion, Lager und Versand bei Topstar kann ich Ihnen dagegen sagen: Diese Dame hält viel mehr, als ihr Name verspricht. Ich will Ihnen auch gleich den Beweis antreten: Heute managet unsere iLoNa eine Logistik-Fläche in Warenannahme, Zwischenlager, Versandlägern, Kommissionierung und Versandabteilung von rd. 13.000 qm. Dabei steuert sie automatische Stapler ebenso wie Förderbänder und – erlauben Sie mir diese Anmerkung – sie hat unsere Jungs in der Versandabteilung „fest im Griff“.

Wenn man in Ihre Läger und in die Versandabteilung schaut, stellt man fest, dass dort verhältnismäßig wenige Mitarbeiter tätig sind. Haben Sie mit der Umstellung auf automatische Abläufe Personal rationalisiert?

Auf den ersten Blick mag dies so scheinen. Aber mit der Umstellung dieses zentralen Bereiches haben wir zahlreiche Mitarbeiter innerhalb des Unternehmens umgesetzt und so die Effizienz im gesamten Betrieb erhöht. Richtig ist, dass z. B. in unserem Kartonversand heute max. 20 Kollegen mit bis zu acht Staplern tätig sind, vor der grundlegenden Neuausrichtung der Logistik waren bis zu 75 Mitarbeiter und dreimal soviel Maschinen im Einsatz. Entscheidender als die reinen Zahlen sind jedoch die positiven Effekte für unsere Belegschaft. Die Zahl der Betriebsunfälle konnte stark reduziert werden, da viele – gefährliche – Aufgaben nun von Maschinen übernommen werden.

Geben Sie mir einen Überblick, über welchen Umschlag von Waren wir hier sprechen? Wie viele Drehstühle gehen bei Ihnen am Tag zu Kunden?

Ich will es Ihnen ganz plastisch machen: Alle 60 Sekunden – also jede Minute – können wir in unserer Produktion bis zu 25 Stühle fertigen. Damit liefern wir pro Arbeitstag bis zu 20.000 Stühle aus, die mit Hilfe unserer umfassenden Logistik-Software von f+s direkt an Paketdienste oder Spediteure übergeben werden. Dabei bereiten wir bei uns inhouse auch die Versandunterlagen vor. Auch dafür ist die von uns seit 2002 im produktiven Einsatz befindliche Spezialsoftware zuständig. Übrigens, ein fertiger Büro- oder Kinderzimmerstuhl verbringt nicht viel mehr als 24 Stunden in unserem Zwischenlager, bevor er zur Expedition geht – oder genau gesagt – automatisch dort hinrollt. Das für mich faszinierende ist dabei die voll automatische Versandabwicklung mit der dahinter liegenden Logistik.

Was heißt das genau? Ist Palette nicht gleich Palette? Oder gibt es spezielle Anforderungen Ihrer Auftraggeber an die Auslieferung?

Genau das gibt es! Diese besonderen Kundenbedingungen beinhalten z. B. eine maximale Zahl an Lagen von Kartons je Palette oder auch eine definierte Stapelhöhe. Ein weiteres Beispiel ist die Art der Folienwickelung um eine Palette. Hier gibt es unterschiedliche Wünsche und Anforderungen. Wenn sie all dies bei unserem heutigen Tagesumschlag von bis zu 20.000 Stühlen händisch berücksichtigen wollten, ist es nur eine Frage der Stunden, bis ein Kunde sich – zu Recht – beschwert.

iLoNa hingegen beherrscht dieses Routing – also das Mitgeben und Berücksichtigen von Versandbedingungen in jeder Stufe der Versandabwicklung – praktisch im Schlaf, und zwar fehlerfrei. Mit der automatischen Hinterlegung der Informationen passiert das Notwendige einfach so wie es soll. Dies macht sich für uns immer dann besonders bezahlt, wenn der Kunde einmal die Versandanforderungen kurzfristig ändern muss.

Was würde denn passieren, wenn Sie diese automatische Berücksichtigung besonderer Vorgaben nicht einhalten könnten? Gab es so etwas schon mal bei Ihnen? Hand aufs Herz…

Ich will ganz offen sein: Ja, so etwas gab es in der Tat schon bei uns, nämlich genau zu jener Zeit, als unsere Produktion stetig wuchs, der Versand aber nicht mehr mitkam. Damals sank die Lieferzuverlässigkeit auf wirklich kritische Werte. Aus dieser Zeit haben wir zwei Dinge gelernt: 1. Gib deinem Kunden maximale Liefersicherheit. Diese liegt bei uns seit 2003 kontinuierlich bei rd. 92-94% – und dies wird von uns wöchentlich neu erhoben. Und 2. Gehe mit deinem Kunden offen und ehrlich um.

Es ist für niemanden ein unverzeihliches Vergehen, einmal in einen Lieferengpass zu geraten, aber es ist ein Vertrauensbruch, diese Tatsache nicht frühzeitig mit dem Kunden zu besprechen. So konnten wir all unsere Kunden bis heute immer wieder als Kunden bei uns begrüßen. Darauf sind wir wirklich stolz.

Danke für Ihre Offenheit. Ich will die Gelegenheit nutzen, und Sie an dieser Stelle den Lesern persönlich ein wenig näher zu bringen. Was fasziniert Sie an Ihrer Arbeit im Familienunternehmen Topstar?

Herr Keup, dazu möchte ich ins Jahr 1983 zurückgehen. Vor 22 Jahren fing ich als junger Dipl.-Ing. für Papier- und Kunststoffverarbeitung im Hause Wagner an. Als Spezialist für Verfahrenstechnik war ich zu diesem Zeitpunkt nicht wirklich der Logistiker par Excelence. Allerdings gab es etwas, was mich faszinierte und nicht mehr losließ. Wohl gemerkt: Als ich bei Topstar begann, stand alles noch ganz am Anfang. Aber, da war ein gutes Gefühl, das Gefühl, hier etwas mit Engagement bewegen zu können. Dieses gute Gefühl hat mich nicht getäuscht und so habe ich über die Jahre meine Leidenschaft für die Logistik entwickelt, mit einer aufgeschlossenen Inhaber-Familie als starken Partner.

Sie sind gebürtiger Augsburger, haben an der Fachhochschule München studiert und sind heute der zentrale Ansprechpartner bei Topstar, wenn es um das Thema Produktions- und Lagerorganisation geht. Welche Stärken zeichnen Sie heute – aus Ihrer Sicht – aus?

Sie werden verstehen, wenn ich diese Frage nur subjektiv und damit eingeschränkt beantworten kann. Allerdings steht für mich heute fest, dass ich sehr gerne organisiere. Dazu fasziniert es mich, nach neuen, noch sinnvolleren Abläufen zu suchen. Schließlich versuche ich ständig, die Logistik weiter zu optimieren. Wenn Sie so wollen, bin ich der „Organisator“ der Fabrik, und das ist mein Leben. Dabei ist iLoNa – ohne zu übertreiben – heute eine meiner „besten Freundinnen“ hier in Langenneufnach.

Kommen wir an dieser Stelle zu den Fakten hinter den Kulissen: Wo liegen aus Ihrer Sicht die besonderen Herausforderungen für das Thema Organisation bei Topstar?

Wenn Sie unsere Plakate hier in den Werkshallen anschauen, fällt Ihnen vielleicht unser Leitslogan auf. Er lautet: ’sit different‘. Dahinter steht unser Ziel, durch Innovation und Spezialisierung den Erfolg unserer Kunden (mit) zu gestalten. In der Tat sind es immer wieder neue Herausforderungen, die wir nur mit innovativen Lösungsansätzen und zugleich höchster Spezialisierung meistern können.

Lassen Sie mich ein Beispiel nennen: Heute beziehen wir bis zu 40% unserer Einzelteile für Drehstühle aus Südostasien. Diese Bauteile sind bis zu sechs Wochen mit dem Schiff unterwegs, bevor sie zu uns nach Bayern kommen. Damit müssen wir eine wesentlich höhere Grundvorratshaltung betreiben, als in früheren Zeiten, als die Komponenten innerhalb eines Tages per LKW aus ganz Europa zu uns gebracht werden konnten. Nun ist unsere Kapazität in der Grundvorratshaltung an ihre natürlichen Grenzen gestoßen, und wir denken über ein neues Hochregallager nach.

Wenn ich mich an dieser Stelle in der Software-Industrie umschaue, würde ich jetzt auf den Gedanken kommen, dass Sie womöglich eine neue Lösung brauchen, die leistungsfähiger ist. Liege ich da richtig?

An dieser Stelle muss ich Ihnen – glücklicherweise – widersprechen. Der Grund: Im Gegensatz zu standardisierten Software-Paketen mit eingeschränkter Ausbaufähigkeit besitzen wir mit iLoNa eine Lösung, die uns selbstverständlich weiter begleitet, weil sie mit uns wachsen kann. Wenn Software-Hersteller von Skalierbarkeit sprechen, hier ist ein Beispiel, das dieses Versprechen einlöst, ohne zuviel Werbung machen zu wollen.

Schon heute beweist die Lager- und Logistik-Lösung aus Berlin, dass Sie jederzeit mithält, z. B. im Herbst, wenn das Weihnachts- und Aktionsgeschäft auf vollen Touren läuft und für uns Hochsaison in der Produktion herrscht. Wenn Sie Schwankungen zwischen 130.000 und 400.000 Stühlen monatlich haben, darf das „Backend“ auch bei höchster Taktrate nicht „ins Schwitzen geraten“.

Ich habe gehört, dass iLoNa in nächster Zeit eine „gute Freundin“ mit zu Topstar bringt. Was hat es denn damit auf sich?

Da haben Sie gut hingehört, wenn ich das sagen darf. ILoNa bekommt in der Tat Verstärkung durch eine „gute Freundin“. Ohne aus dem Nähkästchen zu plaudern ist es so, dass wir beabsichtigen, unsere Produktion künftig vollautomatisch mit Einzelteilen versorgen zu lassen. Dafür planen wir einen entsprechenden Ausbau unserer „Automatisierungs-Strategie“. Nur eine wichtige Zahl in diesem Zusammenhang: Wir arbeiten heute mit rund 50 Stammlieferanten zusammen.

Ein weiterer Hintergrund ist, dass ein immer höherer Anteil an Drehstühlen vormontiert zu den Kunden rollt. Schon heute liegt dieser Anteil bei circa 30% unserer Produktion – mit steigender Tendenz. Dazu kommt, dass die Menschen immer mehr Stunden am Schreibtisch sitzen, genauer gesagt, am PC. Damit steigt der Bedarf an Drehstühlen generell weiter an, insbesondere bei rückenschonenden Sitzgelegenheiten.

Verraten Sie mir doch, was für Stühle Sie hier in Langenneufnach produzieren und worauf Sie besonders spezialisiert sind?

Vorweg: Wir sind heute ein reiner Drehstuhl-Hersteller. Das heißt, bei uns gibt es keine Papierkörbe, Garderobenständer, Hängeschränke oder Bürotische. Das ist wichtig, denn als mittelständisches Familienunternehmen haben Sie in einem Markt mit immer höherem Wettbewerb nur eine Chance, erfolgreich nach vorn schauen zu können, wenn Sie beweisen, dass Sie einer der Besten in Ihrem Metier sind. Dabei hat für Topstar, so wie Sie es heute erleben, alles mit Disney angefangen.

Nachdem die Familie Wagner sich entschloss, den eigenen Möbelhandel einzustellen, traf sie eine zunächst in der Branche belächelte Entscheidung. Diese lautete Ende der Achtziger: Wir produzieren Kinder-Drehstühle mit Disney-Motiven. Die Produktion wuchs in den Folgejahren von rund 100 auf über 1.000 Stühle am Tag an. Die Kritik der Branche verstummte. 1992 wurde hier am Stammsitz das erste Hochregallager für Komponenten gebaut, vier Jahre später folgte eine neue Großfertigung mit angeschlossener Verwaltung. In der Zeit von 1996 bis 2002 wurden seitens der Inhaber circa 20 Mio. € in Grundstücke, Fertigung und Technologien investiert. Aber zurück zu den eigentlichen Stühlen.

Heute arbeiten bei Topstar rund 450 Kolleginnen und Kollegen und wir fertigen, polstern, montieren und verpacken auf drei Etagen und 50.000 m² Fläche. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Wir bieten eine Produkt-Palette, die vom einfachen Bürostuhl für 40-80,- € bis zum High Tech-Sessel für bis zu 700,- € reicht. Dabei finden Sie unsere Stühle als Aktionsangebot im Discounter ebenso wie in Baumärkten und bei Versandhäusern sowie unsere Top-Linie „Wagner“ im Bürofachhandel ebenso wie bei hoch spezialisierten Bürobedarf-Versandanbietern. Damit bieten wir ein breit gefächertes Angebot in der Vertikalen, und darum sind wir heute auch so erfolgreich.

Dem habe ich nichts hinzuzuführen. Herzlichen Dank für das sehr interessante Gespräch!

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Langenneufnach, Mai 2005